Separierung des Universitätsklinikums und Einheit der Universität
von Wolfgang Zöllner

Die medizinischen Fakultäten sind seit alters her ein Grundelement der Universitäten. Das erklärt sich nicht nur aus dem Bedürfnis nach einer Ausbildung der ─rzte auf höchstmöglichem Niveau, sondern liegt auf einer Linie mit der (historisch nicht am Anfang stehenden) Idee der universitas litterarum: Die Medizin ist noch immer der von ihrem Gegenstand wie vom existentiellen Bedürfnis des Menschen her wichtigste Bestandteil der Humanwissenschaften. Die Universität ohne Medizin wäre ein Torso, wie umgekehrt die Medizin ohne Einbettung in die Gesamtheit der Wissenschaften zur Anstalt für Technikanwendung und Technikvermittlung verkäme.

Wissenschaftlichkeit als eine der Wahrheit ebenso wie der Humanität verpflichtete Grundeinstellung kann hinreichend auf Dauer nur in medizinischen Fakultäten vermittelt werden, die sich selbst als Teil des universitären Wissenschaftsprozesses verstehen. Wissenschaftliche Rationalität ist unteilbar, die Herausnahme der Medizin aus der Universität würde die Förderung desorientierter Expertenautonomie zur Folge haben, die niemand wünschen kann.

Die derzeitigen auf eine gegenüber dem status quo noch erheblich weitergehende Verselbständigung des Klinikums gerichteten Bestrebungen formulieren denn auch lippenbekenntnishaft, die Einbindung der Fakultäten in die Universität nicht beseitigen zu wollen. Nach wie vor soll in der Tat die Verantwortung für Forschung und Lehre den medizinischen Fakultäten obliegen, sollen Professoren der drei Besoldungsstufen Professoren der Universität und von dieser zu berufen sein; Promotionen und Habilitationen sowie die Verleihung der venia legendi sollen universitäre Angelegenheiten bleiben. Das Universitätsklinikum hingegen soll rechtlich, finanziell und organisatorisch (fast) gänzlich aus der Universität herausgelöst werden.

Der Rückzug des Staates und seine Folgen

Man verspricht sich dadurch Verbesserungen der wirtschaftlichen Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit sowie eine Klärung und Separierung der bislang noch immer gemischten Finanzierung von medizinischer Dienstleistung einerseits und Forschung und Lehre andererseits. Diese Anliegen würden freilich nicht die rechtliche Separierung erfordern, sondern lediglich die Installierung einer geeigneten Führungsstruktur der Klinika und eines geeigneten Rechnungswesens, mit dem die Einnahmen- und Kostenstruktur sachgerecht erfaßt und durchsichtig gemacht wird. Beides läßt sich auch bei fortbestehender Anbindung der Klinika an die Universität verwirklichen.

Die demgegenüber von den politischen Kräften verfolgte Trennung trägt als solche zur Lösung der Finanzprobleme nichts bei und hat ihren eigentlichen Grund in der auch sonst im Universitätsbereich erkennbaren Bestrebung des Staates, sich aus der Verantwortung für die Folgen unzureichender Finanzausstattung seiner wissenschaftlichen Einrichtungen zurückzuziehen. Medizinische Versorgung läßt sich unter den gegenwärtigen ganz überwiegend sozialversicherungsrechtlich und wohlfahrtsstaatlich ausgerichteten Vorstellungen nur sehr begrenzt einer Steuerung durch Marktkräfte und damit einem wirtschaftlich-unternehmerischen Entscheidungsdenken unterwerfen. Bleibt Medizin weiterhin sozialen und wohlfahrtsökonomischen Zielen verhaftet, ist wirtschaftlich rationales Handeln der Klinika nur partiell möglich und ein Rückzug des Staates aus der Verantwortung undenkbar, wie er ja auch Träger einer Gewährshaftung bleiben soll.

Die Einheit von Forschung, Lehre und Dienstleistung ist anzustreben

Auch wenn man von diesen Bedenken absieht, führt eine Herauslösung der Universitätsklinika aus der Universität in eine kaum zu bewältigende Sachgerechtigkeitsproblematik. Diese Problematik beruht darauf, daß Universitätskliniken ja nicht vorrangig Einrichtungen medizinischer Dienstleistung sind - das sind sie selbstverständlich auch - sondern in erster Linie der Forschung und Lehre dienende und gewidmete Einrichtungen. Ohne diese Funktion würde das Klinikum die Bezeichnung Universitätsklinikum zu Unrecht führen. Forschung und Lehre auf klinischen Feldern wäre außerhalb von Kliniken schon der Sache nach nur ganz begrenzt durchführbar.

Daß man finanzielle Mittel für Forschungszwecke gesondert budgetiert und der Verteilung durch die medizinische Fakultät überläßt, um ihre Zweckentfremdung für Aufgaben der Krankenversorgung zu verhindern, ist dabei selbstverständlich möglich und sinnvoll. Mit der Frage rechtlicher Selbständigkeit des Universitätsklinikums hat das indessen nichts zu tun. Ganz allgemein gilt, Budgetierung hin oder her, für den Bereich der klinischen Medizin der Grundsatz der Einheit von Forschung, Lehre und Dienstleistung. Diese Einheit muß aus universitär-wissenschaftlicher Sicht bei aller Stärkung wirtschaftlicher Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Klinika durch geeignete Vorkehrungen sichergestellt werden.

Unabdingbares Element dieser Einheit ist, daß die C4-Professoren klinischer Fächer gleichzeitig Leiter sachlich einschlägiger klinischer Einheiten sind und daß ihnen ein Aufgabenbereich medizinischer Versorgung und eine angemessene Anzahl von Krankenbetten zugeordnet sind. Vorstellungen im politischen Raum, die von dieser Grundforderung hinwegführen wollen, stehen in krassem Widerspruch zu dem genannten Grundprinzip. Damit ist als weitere Forderung vorgegeben, daß die Auswahl der leitenden ─rzte, weil gleichzusetzen mit der Berufung auf eine Professur, in erster Linie Sache der Medizinischen Fakultät ist.

Die Medizinische Fakultät muß Richtlinienkompetenzen ausüben

Die von verschiedenen Seiten propagierte Orientierung der Kompetenzverteilung zwischen Universität und Klinikum am Modell der Aktiengesellschaft übersieht nicht nur, daß der aktienrechtliche Aufsichtsrat derzeit im wirtschaftlichen Bereich in eine Legitimationskrise geraten ist, sondern wird der spezifischen Verantwortung der Universität für Wissenschaft und Lehre nicht gerecht.

In keinem Fall kann es für die Anbindung des Klinikums an die Medizinische Fakultät ausreichen, wenn die Fakultät im Leitungsgremium des Klinikums, etwa durch Mitgliedschaft des Dekans und Prodekans kraft Amtes, vertreten ist. Je nach Sachlage kann dies im Gegenteil dazu führen, daß sich die Fakultät Wünschen und Interessen des Klinikums unangemessen unterordnet. Die Medizinische Fakultät muß vielmehr selbst und als solche - und d.h. vor allem: als Gremium - weitreichende Informations- und Kontrollrechte gegenüber dem Klinikumsvorstand erhalten, und sie muß in allen Forschung und Lehre betreffenden Fragen mit geeigneten Weisungs- und Richtlinienkompetenzen gegenüber dem Klinikumsvorstand ausgestattet werden.

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